Führe uns zu Jesus!
„ Sieh den Stern, rufe Maria an!“
In Banneux befolgen wir diesen brüderlichen Rat von Bernhard von Clairvaux. Wir rufen Maria, die Jungfrau der Armen, an, indem wir dankbar die schöne Botschaft aufgreifen, die sie uns im Winter 1933 übergeben hat. Jeden Tag beim Rosenkranz beten wir die „Anrufungen von Banneux“. Das Wort „Anrufung“ mag altmodisch klingen, aber es erinnert uns an den guten Rat des Kirchenlehrers.
Die erste Anrufung ist natürlich die wichtigste: „Jungfrau der Armen, führe uns zu Jesus, der Quelle der Gnade“. Hierher kommt auch unser Thema für das Jahr 2023: „Führe uns zu Jesus“. Ihr mütterliches Herz freut sich, wenn wir dieses Gebet an sie richten. Sie geht vor uns her, so wie sie vor Mariette Beco hergegangen ist, und geht mit uns den Weg zur Quelle. Und wie Mariette tauchen auch wir unsere Hände ins Wasser. Dabei gedenken wir unserer Taufe, bei der der himmlische Vater zu uns sagte: Du bist mein geliebter Sohn, du bist meine geliebte Tochter, es hat mir gefallen, dich zu erwählen. Sein Vaterherz freut sich jedes Mal, wenn sich neue Brüder und Schwestern um seinen eingeborenen Sohn versammeln und die Familie wächst.
- „Die den Weg zeigt“.
Auf einer berühmten byzantinischen Ikone hält die Mutter Gottes das Kind auf dem linken Arm; mit der rechten Hand zeigt sie auf ihren Sohn. Wenn man Jesus näher betrachtet, erkennt man, dass er kein Kind mehr ist, sondern der Herr der Herrlichkeit: In der linken Hand hält er nämlich das Buch, mit der rechten Hand segnet er die Welt. Es handelt sich bereits um den glorreichen Christus, der nach seinem irdischen Weg der allmächtige Herr ist … Die byzantinische Ikonografie beherrscht die Kunst, das große Geheimnis der Erlösung vor unseren Augen aufleuchten zu lassen, indem sie es in einem einzigen Bild verdichtet. Die hier angesprochene Marienikone trägt den Namen „Hodigitria“ vom griechischen hodos (Weg) und hegeisthai (zeigen oder führen). Maria zeigt uns den, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist (Joh. 14, 6), und ermutigt uns, ihm mit ihr gemeinsam zu folgen.
Denn Maria ist ihrem Kind von der Krippe bis zum Kreuz gefolgt; und am Tag ihres Entschlafens folgte sie ihm sogar in den Himmel, wo sie mit Leib und Seele in die Herrlichkeit ihres Sohnes aufgenommen wird. Maria ist Expertin, wenn es darum geht, uns in das große Geheimnis Christi einzuführen (Eph. 3, 4). Sie hat ein unvergleichliches Verständnis von dem, was sie mit uns teilen möchte.
- „Christus in seinen Geheimnissen“
Die katholische Kirche hat im Rosenkranzgebet ihre eigene Pädagogik entwickelt. Während wir das Gegrüßet-seist-du-Maria sprechen, betrachten wir Jesus Christus in seinen freudenreichen, schmerzhaften, lichtreichen und glorreichen Geheimnissen. Und, wir tun dies in der Gegenwart unserer himmlischen Mutter, die ihren Erfahrungsschatz mit uns teilen möchte. Denn seit Jesus in ihr Leben getreten ist, steht sie einem Geheimnis gegenüber, das sie im Glauben annimmt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um blinden Glauben: Sie weiß, dass ihre Augen aus Fleisch nicht ausreichen werden, um klar zu sehen. Lange vor Antoine de Saint Exupéry hatte sie verstanden, „dass man nur mit dem Herzen gut sehen kann. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Also nahm sie die Ereignisse und Worte in ihr Herz auf, bewahrte sie und dachte darüber nach. Sie dringt immer tiefer in das Licht des Geheimnisses ein, ein Licht, das sie dann großherzig mit uns teilen möchte.
Wenn Maria uns um sich versammelt, ist sie nicht auf der Suche nach einem Kreis von Bewunderern, einem „Fanclub“. Sie will auf gar keinen Fall „vergöttert“ werden … Sie führt uns immer zu Jesus.
- Rosenkranz am Arm
Als die Schöne Dame sich ihr zeigte, entdeckte Mariette einen Rosenkranz an ihrem rechten Arm. Das war übrigens auch in Lourdes der Fall. Einige Beobachter waren darüber erstaunt: „Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, dass die Jungfrau Maria den Rosenkranz betet?“ Natürlich nicht! Sie hält ihn nicht in der Hand, um ihn zu beten. Sie trägt ihn an ihrem Arm. Und Mariette denkt sofort an den Rosenkranz, den sie auf der Straße nach Tancrémont gefunden hatte. Sie holt ihn aus der Schublade, wo sie ihn verstaut hatte. In Anbetracht der Erscheinung hat das Kind das Bedürfnis zu beten … Und die Antwort, die ihr angemessen erscheint, ist das Rosenkranzgebet.
Als herausragende Kennerin der Ereignisse von Banneux hat unsere Freundin Nicole Ingenbleek die Pädagogik der Muttergottes während der acht Erscheinungen herausgearbeitet (siehe Zeitschrift 2015-4: Die Botschaft immer wieder neu entdeckt S. 102f). Die überraschende Erscheinung am Sonntag, dem 15. Januar fordert das Kind zum Gebet heraus … Jedoch auch zu einer Rückkehr zur Messe und zum Katechismus. Mariette nimmt ihren Platz in der Gemeinschaft der Gläubigen von Banneux wieder ein.
Bei der zweiten, dritten und vierten Erscheinung kommt die schöne Dame während des ersten Rosenkranzgebets, wo die freudenreichen Geheimnisse betrachtet werden: Es ist „die Zeit der Freude“. Die Freude über eine warme und lächelnde Präsenz, die Freude, die ersten Schritte auf dem Weg des Vertrauens zu machen, die Freude, die Gnade der Taufe wiederzuentdecken; die Freude, Teil einer großen Familie zu sein, die alle Nationen umfasst und den Kranken einen bevorzugten Platz einräumt … Mariette hatte nur einen Wunsch: dass die Erscheinungen fortdauern … Aber nach drei aufeinanderfolgenden Tagen großer Freude folgen drei lange, mühselige Wochen: Die schöne Dame lässt sich nicht mehr blicken! Die Sehnsucht des Kindes wird zusehends größer.
Am 11. Februar wird die Beharrlichkeit des Mädchens belohnt. Maria erscheint, nun jedoch erst während des zweiten Rosenkranzgebets – die schmerzhaften Geheimnisse! Und das aus gutem Grund: Sie spricht von Leid und Leiden und verspricht feierlich, dass sie kommt, um es zu lindern.
Am 15. und 20. Februar beginnen die Erscheinungen ebenfalls während der schmerzhaften Geheimnisse. Es ist legitim, eine Verbindung zu Abbé Jamin herzustellen, der eine schmerzhafte Glaubenskrise durchlebt und dessen Glaube durch Marias Worte gerettet wird. „Glaubt an mich, ich werde an euch glauben!“ Die Erscheinung am 20. Februar endet mit Tränen … „Warum weinst du? fragt sie ein Zeuge. Weil sie zu schnell weggeht!“
Am 2. März ist die Wartezeit besonders lang. Maria erscheint erst während des dritten Rosenkranzes: also während der glorreichen Geheimnisse! Aber mittlerweilen hat der sintflutartige Regen einem sternenklaren Himmel Platz gemacht!
Die schöne Dame verabschiedet sich. Der Abschied ist von Traurigkeit, aber vor allem von Hoffnung geprägt. Ich muss unweigerlich an die Abschiedsreden im Johannesevangelium denken. Ein herzzerreißender Moment, aber hoffnungsvoll angereichert mit der wunderbaren Verheißung. „Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin.“ (Joh. 14, 3).
„Sieh auf den Stern,
rufe Maria an,
wenn du ihr folgst, hast du nichts zu befürchten!“
Wenn wir mit Maria den Aufbruch wagen, werden wir mit Sicherheit zu Jesus gelangen, unserem großen Bruder, dem Retter aller Menschen.
Rektor Leo Palm